Zuwanderung und Integration in Duisburg: Ein Gespräch mit Marijo Terzic
Zuwanderung und Integration in Duisburg: Ein Gespräch mit Marijo Terzic
Duisburg hat inzwischen ein Gesamtstädtisches Integrationskonzept - seit Mai 2017. Aus diesem Anlass sprachen wir mit dem Leiter des Kommunalen Integrationszentrums, Marijo Terzic, über Schwerpunkte und Herausforderungen in der Integrationsarbeit.
Seit rund vier Jahren gibt es das Kommunale Integrationszentrum (KI) der Stadt Duisburg. Die Einrichtung hat eine zentrale Stellung in der Integrationsarbeit, ist erste Adresse bei Fragen zu Integration und Zuwanderung. Hervorgegangen ist sie aus der Zusammenlegung der Regionalen Arbeitsstelle zur Förderung ausländischer Kinder und Jugendlicher (RAA) und dem 2007 gegründeten Referat für Integration. Integration durch Bildung sowie Integration als Querschnittsaufgabe bilden die Schwerpunkte der Arbeit des KI.
Als vernetzende, strategisch ausgerichtete Einrichtung begleitet das KI mit Ideen und Impulsen die Entwicklung von Integrationsprozessen in Duisburg. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pflegen ein breites Netzwerk von integrationsrelevanten Akteuren, bündeln die innerstädtischen Aktivitäten und stimmen sie aufeinander ab. Das jetzt vom Rat der Stadt beschlossene Integrationskonzept wurde unter der Federführung des Kommunalen Integrationszentrums erarbeitet – in enger Kooperation mit Partnern der Integrationsarbeit aus Verwaltung und Zivilgesellschaft.
Mit Marijo Terzic leitet seit Anfang 2016 ein erfahrener Akteur und Kenner der Integrationsszene in Duisburg das KI. Der Duisburger war schon im Leitungsteam des Referats für Integration und begleitet den integrationspolitischen Prozess in Duisburg nunmehr seit zehn Jahren. Zu den verschiedenen Einwanderer-Communities und ihren Vereinen unterhalten Terzic und sein Team gute Kontakte.
Migranten oder Duisburgerinnen und Duisburger?
Der Leiter des KI weiß um die Lebenswirklichkeit und das Lebensgefühl vieler Eingewanderter. „Zugewanderte Menschen, die schon seit Jahrzehnten generationenübergreifend hier in Duisburg leben. Bei ihnen stellt sich wirklich die Frage, ob sie noch Migrantinnen und Migranten sind. Für mich sind sie Duisburgerinnen und Duisburger, deren Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern irgendwann einmal nach Duisburg gezogen sind. Ich denke, das entspricht auch dem Lebensgefühl vieler dieser Menschen“, sagt Terzic. Das jetzt beschlossene Integrationskonzept richtet sich nicht in erster Linie an diese Menschen, obwohl auch sie bei Bedarf bestehende Integrationsangebote nutzen können. Das Integrationskonzept nimmt vielmehr die in den letzten Jahren neuzugewanderten Menschen in den Fokus. 20 000 an der Zahl, sie sind die eigentliche, aber nicht ausschließliche, Zielgruppe der dort vorgestellten Projekte und Maßnahmen.
Gesamtstädtisches Integrationskonzept – Eine Fortschreibung
Das vorliegende Konzept ist eine Fortschreibung bestehender Konzepte. Denn diese hat es durchaus gegeben, auch wenn sie nicht ausdrücklich diesen Namen trugen. So hat die „Arbeitsgruppe Integration“ beispielsweise die Handlungsempfehlungen der Integrationskonferenzen aus den Jahren 2005 und 2006 analysiert und darauf basierend Projekte und Maßnahmen entwickelt. Sie wurden im Integrationsprogramm 2008/09 zusammengefasst und vom damaligen Referat für Integration veröffentlicht. In 2010 erschien die Publikation „Integration in Duisburg. Wir sind DU: Auf dem Weg in eine gemeinsame Stadtgesellschaft“.
Hier finden sich Definitionen, Grundsätze und strukturelle Überlegungen zur Integrationsarbeit in Duisburg. Bereits vorher, im März 2007, verabschiedete der Rat Leitlinien zur Integrationspolitik der Stadt Duisburg. Diese Konzepte und Beschlüsse geben die Richtung für eine moderne städtische Integrationspolitik von heute vor – mit dem erklärten Ziel, die gleichberechtigte Teilhabe von Zuwanderinnen und Zuwanderern in allen Bereichen der Gesellschaft zu ermöglichen.
Die jetzige Fortschreibung des Duisburger Integrationskonzepts besteht aus einer Zustandsbeschreibung, einer Bedarfsanalyse und Handlungsstrategien für die Zukunft. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link betont in seinem Vorwort: „Nicht die Herkunft von Menschen, sondern die Gestaltung unserer Zukunft, für die wir alle zusammen Verantwortung tragen, ist von Bedeutung. Das zeichnet Duisburg aus und macht unsere Stadt stark.“
Hier finden Sie das Integrationskonzept der Stadt Duisburg.
Bildung, Arbeit, Wohnen und Gesundheit
Konzentriert hat man sich im Integrationskonzept vorerst auf die gesellschaftlichen Bereiche Bildung, Arbeit, Wohnen und Gesundheit. In weiten Teilen liest sich das Konzept wie ein Bericht über all die Projekte, Programme und Maßnahmen, die es auf dem Feld „Integration“ in Duisburg gibt: Eltern- und Familienbildung, Kinderbetreuung, sprachliche Bildung, Integrations- und Sprachkurse, Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung, zum Berufseinstieg, zur Anerkennung von ausländischen Abschlüssen, Handlungskonzepte für soziale Vielfalt in den Quartieren, Gesundheitsmediatoren und vieles mehr. Die zum größten Teil in der Praxis bewährten Ansätze sollen fortgeführt werden – so die Absicht der Verfasser.
Der Leiter des KI weist darauf hin, dass mit Blick auf die neuzugewanderten Menschen die „praktischen und fördernden Aspekte“ von Integrationsmaßnahmen hierbei im Vordergrund stehen. Dies solle jedoch nicht den „Eindruck erwecken, Integrationsarbeit habe lediglich defizitorientiert zu erfolgen“. Das Potential der Menschen zu sehen, nicht alle über einen Kamm zu scheren und einen „ressourcenorientierten Ansatz“ in der Integrationsarbeit zu verfolgen – das sei äußerst wichtig und eine „enorme Triebfeder“ für einen herkunftsübergreifenden Zusammenhalt in der Gesellschaft. Grundsätzlich richte sich das Integrationskonzept an die gesamte Duisburger Stadtbevölkerung, aber mit einem klaren Fokus auf die bereits hier lebenden zugewanderten Menschen, auf die speziellen Herausforderungen der zugewanderten Menschen aus Südost-Europa – vor allem aus Rumänien und Bulgarien – und auf geflüchtete Menschen.
Menschen, die erst seit ein oder zwei Generationen zugewandert sind, fragten sich angesichts der Fokussierung auf Flüchtlinge und EU-Zuwanderer gelegentlich, warum so viele Anstrengungen und Bemühungen für die jetzt ankommenden Menschen gemacht würden und wo sie denn blieben. Solche Stimmen seien durchaus zu vernehmen. Die Sorge sei auch nicht unbegründet meint Marijo Terzic, „denn wir liefen in den vergangenen Jahren tatsächlich Gefahr, dass wir durch die Erfordernisse, uns den aktuellen Dingen schnell und manchmal sehr improvisiert zu stellen, diejenigen, die ohnehin schon da sind, stückweit aus den Augen zu verlieren“. Das sei jedoch nicht geschehen. Schließlich könne man sich nicht nur fokussieren auf die Menschen, die jetzt kommen, um jetzt alles richtig zu machen in der Integrationsarbeit.
„Integrationsprozesse sind bei allen gleich“, erklärt Marijo Terzic. „Egal ob ein Mensch aus Europa zuwandert oder aus Afrika – die persönlichen Motive mögen unterschiedlich sein. Wir fangen jedoch immer von einer Startlinie an. Nämlich ankommen in einer neuen Gesellschaft, die einem erst einmal völlig fremd ist. Fremde Sprache, andere Lebensbedingungen, Abläufe, kulturelle Einflüsse, die man nicht kennt und wo man sich erst einmal zurechtfinden muss. Das ist die Ausgangsbasis einer jeden Zuwanderung. Die würde bei uns nicht anders sein, wenn wir in einen uns unbekannten Kulturkreis oder in ein anderes Land gehen. Wir wären erst einmal darauf angewiesen, uns zu orientieren und zu schauen, wo sind wir hier und wie finde ich mich hier zurecht? Von daher muss es eine Basis an Grundmaßnahmen geben, die allen offenstehen, gleich ob sie neu dazukommen oder schon länger hier leben“.
Schwerpunktthemen „Flucht und Asyl“ und Südosteuropa
Mit dem Beginn der signifikanten Zuwanderung von Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten ist das Thema „Integration und Asyl“ ist seit 2014 „ein absolutes Schwerpunktthema“ in der täglichen Arbeit des KI. So wie das Thema “Flüchtlinge“ und die Frage „Schaffen wir das?“ stets in allen Medien war, so dominierte sie auch die Arbeit des KI. Rund 7000 Flüchtlinge hat Duisburg in der Spitze aufgenommen. Die Menschen mussten versorgt und untergebracht werden und erste Integrationsschritte wurden eingeleitet. Das sei eine „Megaherausforderung auch für Duisburg“ gewesen. Gut die Hälfte der Flüchtlinge war in sogenannten Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, in großen Wohnheimen, aber auch in 10 Turnhallen, den sogenannten „Notunterkünften“. Es ging darum, Menschen schnell unterzubringen, ihnen ein Dach über dem Kopf zu geben, eine existentielle Grundversorgung sicherzustellen. „Das war ein unglaublicher Kraftakt für die Stadtverwaltung insgesamt, aber vor allem für das Amt für Soziales und Wohnen, das hier verantwortlich ist“, so Marijo Terzic.
Ganz wichtig seien dabei die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer gewesen. Terzic ist sich sicher: „In der Flüchtlingsarbeit hat das Ehrenamt eine Renaissance erlebt. Die Menschen haben Unfassbares geleistet, in Duisburg wie in ganz Deutschland. Die Welt hat Deutschland applaudiert. Auf dieses Engagement aus der Zivilgesellschaft können wir sicherlich stolz sein“.
Um die Herausforderungen angesichts der nach Duisburg kommenden Flüchtlinge bewältigen zu können, hat die Stadt Duisburg im vergangenen Jahr den engen Austausch und die Kooperation aller beteiligten städtischen Ämter forciert. Die „Koordinierungsgruppe Integration Flucht & Asyl“ wurde ins Leben gerufen. In ihr arbeiten alle wichtigen Ämter und Abteilungen auf Leitungsebene zusammen. Beim KI wurde die „Geschäftsstelle Integrationskoordination Flucht & Asyl“ geschaffen. Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter des KI begleiten, unterstützen und koordinieren hier die Arbeit der Organisationsstruktur. In der Rückschau stellt Marijo Terzic fest, dass „ wir mit vereinten Kräften die Aufgaben, die sich uns stellten, gut bewältigt haben“.
Ein weiteres Schwerpunktthema des KI ist die Zuwanderung von Menschen aus Südosteuropa. Denn seit 2010 / 2011 gibt es eine nach wie vor anhaltende Zuwanderung vor allem aus Rumänien und Bulgarien. Rund 13.000 Menschen sind seither zugezogen und insgesamt leben derzeit circa 17.500 Menschen aus den beiden Ländern in Duisburg.
Viele der zugezogenen Menschen, in nicht unerheblichem Maße auch Roma-Familien, leben in bitterer Armut. Projekte, die das KI in Kooperation mit weiteren Partnern durchführt, sollen helfen, den Teufelskreislauf von Armut und Perspektivlosigkeit zu durchbrechen. Doch Marijo Terzic weiß: „Integrationsprozesse brauchen Zeit, sie entwickeln sich mühsam. Oft sind wir zu ungeduldig oder enttäuscht, wenn sich Dinge anders entwickeln, als wir sie uns vorstellen. Doch damit müssen wir leben. Wichtig ist in der Integrationsarbeit mit Roma-Familien aus meiner Sicht, gegenseitiges Vertrauen zu entwickeln. Wenn Menschen anders handeln als erwartet, gibt es aus ihrer Perspektive immer berechtigte Gründe dafür. Oft kennen wir sie nur nicht“.
Duisburg war aufgrund der sinkenden Einwohnerzahl dazu übergegangen, Kapazitäten abzubauen, beispielsweise KiTa-Plätze zu reduzieren und Schulstandorte zu schließen. „Im Grunde müssen wir jetzt völlig umdenken und stadtentwicklungstechnisch wieder investieren“, sagt Terzic.
Kooperationsprojekt „Unser Haus Europa“
Da wo die Integrationsbedarfe für bestimmte Zielgruppen am größten sind, dort entwickelt das KI auch eigene Projekte. Für die Zielgruppe aus Südost-Europa gab es bis Ende 2016 das große Projekt „Unser Haus Europa“ (UHE), ein gemeinsames Projekt von KI und der Gesellschaft für Beschäftigungsinitiativen (GfB). Das Ziel war, Menschen aus bildungsfernen Milieus, ohne Berufsabschlüsse, in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das Projekt UHE wurde vom Land NRW gefördert. Marijo Terzic zu diesem Projekt: „ Es gibt ja Menschen, die beispielsweise durchaus mit handwerklichen Talenten gesegnet sind, die man mittels Qualifizierung nutzbar machen kann. Es ist inzwischen gelungen, Menschen in Arbeit zu bringen, die solche Maßnahmen durchlaufen haben. Unser Haus Europa ist ein Beispiel dafür“. Als Nachfolgeprojekt zu UHE startete in 2017 das Qualifizierungsprojekt Bildung, Arbeit, Leben in Duisburg (BALD), das sich ebenfalls an Zugewanderte aus Südosteuropa richtet. Die Teilnehmer erhalten eine Qualifizierung in handwerklichen Fertigkeiten, absolvieren Praktika und „Jobcoaches“ unterstützen die Teilnehmer dabei, in ein Beschäftigungsverhältnis einzumünden. Das Projekt bietet den Menschen eine Chance, aus bitterer Armut herauszukommen und für ein eigenes Grundeinkommen zu sorgen.
Im Rahmen des Europäischen Hilfsprogramms für am meisten von Ausgrenzung bedrohte Personen (EHAP) ist beim KI ein Projekt angesiedelt, das mit dem Einsatz von Integrationsberaterinnen helfen soll, Menschen in Armut und prekären Situationen Wege in die Regeldienste aufzuzeigen. Die Integrationsberaterinnen sind sprach- und kulturaffin, so dass die Kommunikation mit den Betroffenen gut gelingt.
Interkulturelle Öffnungsprozesse in der Stadtverwaltung
Ein weiterer wichtiger Aufgabenbereich ist die Fortführung des Prozesses der interkulturellen Öffnung innerhalb der Duisburger Stadtverwaltung. Ein Monitoring-Projekt, welches der Träger Pro Dialog Köln UG mit der Stadtverwaltung durchführt und das mit Drittmitteln finanziert wird, soll derzeit Aufschluss über den Stand dieses Prozesses geben. Perspektivisch will die Stadt Maßnahmen entwickeln, wie die Verwaltung interkulturell arbeiten soll. Dazu ist eine Beschäftigtenbefragung und eine Befragung auf der Leitungsebene der Verwaltung durchgeführt worden. Diese Erhebung soll Erkenntnisse darüber liefern, wo die Stadtverwaltung auf dem Gebiet des Diversity Managements steht. Außerdem soll sie Informationen zur Personalentwicklung und zur Personalwirtschaft geben. Marijo Terzic: „Der Prozess der interkulturellen Öffnung und die Erkenntnisse, die wir dabei gewinnen werden, werden uns aus vielerlei Hinsicht von Nutzen sein. Zum einen wird es uns besser gelingen, Neuzuwanderern zu helfen, zum anderen werden wir mit der Erhebung von interkulturellen Kompetenzen und Fertigkeiten von Menschen in der Lage sein, sie viel besser und passgenauer einzusetzen. Schließlich wird dies sowohl der Verwaltung als auch den Bürgerinnen und Bürgern nutzen“.
UNESCO-Städtekoalition gegen Rassismus
Duisburg ist Ende 2016 der UNESCO-Städtekoalition gegen Rassismus beigetreten. Die Mitgliedschaft in dieser Koalition gibt Duisburg die Gelegenheit zur Vernetzung mit zahlreichen europäischen Städten. Gleichzeitig ist sie eine Selbstverpflichtung, rassistischen Handlungen gegenzusteuern und entsprechende Maßnahmen zu gestalten. Marijo Terzic deutet hierbei auf den Zusammenhang zwischen Integration und der Bekämpfung von Diskriminierung hin: „Je besser wir in der Antidiskriminierungsarbeit sind, umso mehr werden sich Menschen angenommen und dazugehörig fühlen. Antirassismus-Arbeit muss sich dabei auf alle beziehen“.
Aynur Koc
12. Juli 2017