Wie salonfähig ist antimuslimischer Rassismus?
Ergebnisse der Podiumsdiskussion am 30.06.2023 anlässlich des deutschlandweiten Tag gegen antimuslimischen Rassismus.
Allein im Jahr 2022 gab es 898 dokumentierte antimuslimische Vorfälle, die Dunkelziffer ist viel höher (CLAIM Allianz 26.06.23). Antimuslimischer Rassismus (AMR) begegnet den Betroffenen nicht nur auf individueller, persönlicher, sondern auch auf struktureller Ebene. Besonders betroffen ist der öffentliche Raum.
Wie salonfähig ist antimuslimischer Rassismus?
Am 30. Juni 2023 veranstaltete das Referat für Gleichberechtigung und Chancengleichheit gemeinsam mit dem Kommunalen Integrationszentrum (KI) eine Podiumsdiskussion zum Thema antimuslimischer Rassismus. Im Ratssaal des Duisburg Rathauses versammelten sich dafür neben den Expertinnen und Experten zahlreiche Gäste, um gemeinsam anhand von vier Leitfragen zu diskutieren und sich auszutauschen.
Nachdem Frau Brigui, kommissarisch stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte, die Anwesenden begrüßte, präsentierte die Soziologin Nicole Erkan eine Key-Note zum Thema antimuslimischer Rassismus. Sie beschriebt AMR als „Rassismus ohne Rasse“, der insbesondere durch ungleiche Machtverhältnisse geprägt sei. Lange sei dieser Begriff nicht anerkannt worden. Wieso es aber so wichtig ist, ihn zu benennen und die Systematik dahinter zu verstehen, zeigen nicht nur die von Erkan präsentierten Zahlen des aktuellen Lageberichts der CLAIM Allianz, sondern auch die Ergebnisse der Podiumsdiskussion.
Was sind die Ursachen für AMR?
Bei dieser Frage waren sich alle Podiumsgäste und Diskussionsteilnehmenden einig. Unwissenheit und fehlende Aufklärung bezüglich des Islams sowie die Angst vor dem Unbekannten seien tiefliegende Wurzeln des AMR. Eine zunehmende und sehr wichtige Rolle spielen auch die Medien. Gülgün Teyani (ARIC) beschrieb die deutschen Medien als „toxischen Diskursraum“. Das in den Medien präsentierte Bild von Muslim:innen und dem Islam sei fast ausschließlich negativ. Hinzu komme, so Nicole Erkan, die Art und Weise, wie oft von Muslim:innen gesprochen werde. Sie werden und wurden in der Regel auf ihre religiöse Zugehörigkeit oder Zuwanderungsgeschichte reduziert: sie seien Gastarbeiter:innen oder Salafist:innen, aber nie einfach deutsche Bürger:innen. Die Betonung liege immer auf dem „Anders-Sein“.
Gibt es bestimmte Merkmale, die den muslimischen Männern oder Frauen zugeordnet werden?
Auch in dieser Frage herrschte Einigkeit. Frauen werde vor allem Bildungsferne und Machtlosigkeit zugeschrieben, wohingegen das Bild der Männer oft mit Gewalttätigkeit und der Bereitschaft zur Unterdrückung verbunden sei. Ein großes Problem sei, dass besonders die Medien das Bild der Muslim:innen nicht differenzieren. Hier sei die Darstellung äußerst einseitig und oftmals überspitzt, so Kommissarin Güll von der Polizeiwache Hamborn.
Welche sind die aktuellen Herausforderungen im Hinblick auf Verbesserung und ein demokratisches Zusammenleben?
Gülgün Teyhani forderte Gesetze, Regeln und Verordnungen des Landes, ein Antidiskriminierungsgesetz. Denn „irgendwann ist mit Sensibilisierung vorbei“ und es sei nicht nur die Aufgabe der Betroffenen, sondern der Strukturen, die AMR erlauben und ermöglichen. Die Veränderung müsse auf struktureller und institutioneller Ebene geschehen. Dem schloss sich auch Julia Rombeck (Schule ohne Rassismus, KI) an. Schule sei ein toller Raum, um sich kennenzulernen, aneinander zu geraten und sich wieder zu vertragen. Nur werde nicht genug daraus gemacht. Oftmals werde in Schule der Islam als „Störfaktor“ empfunden und nicht als wertvolles Gut der Multikulturalität, hier anzuknüpfen sei eine wichtige Aufgabe. Kommissar Tunc von der Polizeiwache Buchholz sieht es als Herausforderung, das tiefverankerte und langjährige Denken der Menschen zu verändern. Kommissarin Güll fügte hinzu, dass es zudem die Aufgabe der Polizei sei, Muslim:innen Sicherheit zu bieten und verwies an dieser Stelle auf die Wichtigkeit und die Möglichkeit - auch online - Anzeige zu erstatten.
Was nehmen Sie mit?
Abschließend ging es um die Frage, was die Teilnehmer:innen für sich aus der Veranstaltung mitnehmen und was sich die einzelnen Expert:innen zur Aufgabe machen. Nicole Erkan betonte an dieser Stelle die Wichtigkeit der Sprache. Es dürfe sprachlich keine Unterscheidung mehr zwischen Moslems und Deutschen gemacht werden, denn wer Moslem ist, kann auch Deutscher sein. Gülgü Teyhani betonte erneut, dass es notwendig sei, die Debatte um AMR aus dem Bereich des Individualismus herauszuschaffen und mehr auf die strukturelle und institutionelle Ebene zu führen. Julia Rombeck hingegen möchte ihren Fokus vor allem auf den Kontakt zu Moscheen setzten, um neue Kooperationen einzugehen und Menschen zueinander zu bringen. Frau Birgui betonte, diese Diskussion sei ein erster zarter Schritt der Stadt in Richtung Sichtbarkeit der Muslim:innen in Duisburg.
Aus dem Publikum wurde mehrmals auf die Schulen verwiesen. Einige der anwesenden Lehrerinnen betonten, dass das Lehrpersonal mehr geschult und geöffnet werden sollte. Außerdem sei es erforderlich, Lehrwerke im Hinblick auf mögliche Klischees kritisch zu betrachten. Es müsse ein Umdenken in Schule stattfinden, Themen sollten neu priorisiert und an die Schülerschaft angepasst werden. Es sei wichtig, Rassismus so früh wie möglich anzugehen.
Zuletzt rief Frau Färber zum Miteinander auf und verwies auf die Artikel das Grundgesetztes, dass allen Menschen das Recht auf persönlich Entfaltung, Freiheit des Glaubens und körperliche Unversehrtheit zusichert. Daran anknüpfend betonte Sedanur Barut (ARIC e.V.), dass es sich bei der Diskussion um AMR schon längst nicht mehr um eine emotionale Debatte, sondern eine Einforderung des Grundrechts handele.
Als Abschluss der Podiumsdiskussion wurde ein Filmausschnitt aus dem Film „Contra“ (2020) gezeigt. Die Studentin Naima wird von ihrem Professor rassistisch beleidigt. Als Konsequenz muss dieser Naima für einen bundesweiten Debattierwettbewerb coachen, ihre Frage lautete: „Ist der Islam eine gefährliche Religion?“