Simulation mit allen Sinnen: So modern geht Unterricht im Schiffer-Berufskolleg

Binnenschiffer sein geht auch im Warmen und Trockenen am Bildschirm. Der hochmoderne Flachwasserfahrsimulator "SANDRA II" am Schiffer-Berufskolleg RHEIN in Duisburg ist jetzt von der der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt als erste Fahr- und Radarsimulator in Deutschland zugelassen worden.

Zwischen Neckar, Elbe und Weser liegen nur drei lange Schritte. Und schon können Luca Schepers (24) und Anna-Sophia Treutlein (28) mal einen 110 Meter langen Frachter steuern oder doch lieber einen tiefgängigen Tanker. Die beiden absolvieren derzeit ihre dreieinhalbjährige Ausbildung zum Binnenschifffahrtskapitän bzw. -kapitänin. Neckar, Elbe und Weser sind in ihrem Fall nicht drei deutsche Flüsse, sondern die Namen im modernen Flachwasserfahrsimulator SANDRA II (kurz für: Simulator for Advanced Navigation Duisburg Research and Application) im Schiffer-Berufskolleg RHEIN (Öffnet in einem neuen Tab) (SBKR).

Angelika Voit erklärt Luca Schepers seine Aufgabe

Praxistest unter Extrembedingungen

„Wir haben hier die Chance, Manöver zu üben, die man im echten Leben nicht so oft macht“, erzählt Schüler Luca Schepers. Welcher erfahrene Binnenschiffer lässt schon gerne einen Neuling mal eben einen 110-Meter-Frachter mit tonnenweisen Chemikalien rückwärts aus einem engen Hafenbecken fahren...? „Solche Szenarien können wir hier mit wenigen Knopfdrücken einstellen“, weiß Udo Joosten. Er ist Bereichsleiter Binnenschifffahrt in dem Berufskolleg RHEIN, das in seinem ganzheitlichen Bildungsangebot für Binnenschiffer, Hafenlogistiker und Bootsbauer deutschlandweit nahezu einzigartig ist. Viele Reeder mieten SANDRA II etwa für Fortbildungen und Schulungen.

Auch Schlechtwetterfahrten wie hier bei Schnee können geübt werden

Und einzigartig ist auch der Simulator, der aus fünf Führerständen und Kommandozentrale besteht. Jährlich lernen an ihm am Bürgermeister-Wendel-Platz bis zu 400 Auszubildende Binnenschifffahrt. „Wir können hier unter anderem Schleusen, An- und Ablegen, Wenden, Überholen und Nachtfahrten nachstellen“, berichtet Udo Joosten. „Und auch die schwierigen Strömungsverhältnisse am Baerler Bogen darstellen.“ Er ist selbst gelernter Binnenschiffer und blickt wehmütig auf seine eigene Ausbildung zurück: „So viel Praxisnähe hatten wir früher nicht.“ 

Der Aufbau des Führerstandes ist realitätsgetreu

Angelika Voit, Schiffbauingenieurin und stellvertretende Schulleiterin, beobachtet immer wieder bei ihren Schülerinnen und Schülern, „dass sie ungefähr nach zehn Minuten komplett vergessen haben, dass sie sich in einer Simulation befinden“. So echt, so real fühlt sich das Szenario an - ein bisschen 4D-Kino-Gefühl inklusive. „Manchmal spielen einem die Sinne zwischen den Ohren auch einen Streich“, sagt Angelika Voit. Wird starker Wellengang simuliert, bewegen sich die Wassermassen auf den Bildschirmen im Halbrund auf und ab. 

Die Displays und damit die Bedieninstrumente sind Touch-Displays

Offiziell zertifiziert

Am 10. September wurde der vor zwei Jahren in Betrieb genommene Flachwasserfahrsimulator der finnischen Herstellerfirma Wärtsilä offiziell komplettiert. Dann bekam er von der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) auch seine Zulassung als Radar-Simulator. 

„Für die Ausbildung im Bereich Binnenschifffahrt am Standort Duisburg ist dies ein Meilenstein“, betont Bildungsdezernentin Astrid Neese von der Stadt Duisburg. „Wir sind stolz darauf, dass zukünftige Schiffsführer in der Binnenschifffahrt am Schiffer-Berufskolleg RHEIN mit modernster Technik ausgebildet und geprüft werden können.“

Doch damit ist noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. „Wir wollen immer auf dem aktuellsten Stand der Technik bleiben“, so Voit. Entwickler am Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme e.V. (DST) an der Uni Duisburg-Essen programmieren regelmäßig neue Features für den Simulator. So können inzwischen nicht nur 35 Rheinkilometer rund um den Duisburger Hafen befahren werden, sondern auch der Mittelrhein an der Loreley, der Rotterdamer und der Hamburger Hafen, einige Kanalstrecken im Ruhrgebiet und Emsland sowie die anspruchsvolle Rheinpassage bei Basel. 

Auch Bereichsleiter Udo Joosten musste den Simulator erst einmal erlernen: "Und man lernt nie aus. Es kommen ständig neue Features hinzu."

Europaweiter Vorreiter

Perspektivisch möchte das Schiffer-Berufskolleg auch neue Fahr- und Lernsituationen wie beispielsweise für Niedrigwasserstände implementieren. Dafür hat es bereits das bewilligte EU-Projekt „ARIELL“ im Bereich Kooperationspartnerschaften initiiert. Genau wie die Projektpartner, die Universität Craiova und die Fachhochschule Oberösterreich, ist das SBKR auch Mitglied in „EDINNA“. In diesem Netzwerk haben sich europaweit Bildungseinrichtungen zusammengeschlossen, um die Binnenschiffer-Ausbildung zu harmonisieren und gemeinsam Lerninhalte zu entwickeln. 

Angelika Voit, stellvertretende Schulleiterin, erhofft sich, mithilfe von SANDRA II die Binnenschiffer-Ausbildung in Europa weiter zu harmonisieren

So geht Fortschritt made in Duisburg, der Stadt mit dem größten Binnenhafen Europas. Doch eins kann auch der beste Simulator der Welt nicht ersetzen: Wind um die Ohren, Wasser in den Haaren. Joosten: „Deswegen gehört zur Ausbildung natürlich auch weiterhin ,richtige‘ Praxis an Bord dazu.“