Ralf Plincner - Viktoria Wehofen e.V.
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Ralf Plincner und Otto Kapun sind zwei der Gesichter, die den Verein Viktoria Wehofen prägen. Neben ihnen sind es viele junge Männer aus allen Ecken der Welt. Sie sind es, die dem Verein erneut Leben eingehaucht haben und es ermöglichten, dass dieser 2020 seinen hundertsten Geburtstag feiern kann.
Doch der Reihe nach. „Wir waren an einem Punkt angelangt, wo wir uns ernsthaft fragen mussten, ob der Verein eine Zukunft hat. Es sah nicht mehr danach aus. Der Nachwuchs fehlte einfach“, erzählt Trainer Ralf Plincner rückblickend. „In dieser Situation, kurz nach dem 2015 die ersten Flüchtlinge ankamen, hatte jemand von uns die Idee einen Aushang an einer Flüchtlingsunterkunft zu machen mit dem Aufruf, dass Leute für den Fußballsport gesucht werden.“ Sein Vereinskamerad Otto Kapun ergänzt: „Wir haben ein Datum zum Probetraining festgelegt. Am Stichtag bildete sich eine Schlange mit rund 80 Leuten, damit hatten wir nicht gerechnet.“
Die Basis für einen Neustart des Vereins war gelegt. Damit begann nicht nur ein regelmäßiges Training, sondern – um dieses zu gewährleisten – eine intensive Zeit der Betreuung der neuen Schützlinge, die vorrangig Otto Kapun seither übernimmt: „Ich bin hier festangestellter Sozialarbeiter. Weil ein großer Teil des Vereins aus Menschen besteht, für die hier alles neu ist: Sprache, Kultur, Behörden. Es liegt auf der Hand, dass wir nicht einfach so trainieren können, wenn die Jungs Probleme haben.“ So entstand eine ganz neue Herausforderung für den Verein. „Es gibt eben kulturelle Unterschiede, Herausforderungen und Unsicherheiten im neuen Alltag“, schildert es Otto Kapun, „so ließen sich manche mehrere Handyverträge aufschwatzen oder traten in ein Fitnesscenter ein, obwohl sie bereits Mitglied im Sportverein waren. Oder“, fügt er noch an, „der unregelmäßige Blick in den Briefkasten führte dazu, dass wichtige Termine versäumt wurden.“ Kapuns Rollen waren alsbald klar – Betreuer, Mentor, Netzwerker, Vaterersatz.
„Ich glaube, meine ruhige, besonnene Art hilft“, sagt Kapun. Sie kommt sowohl bei den Jungs an als auch bei Ämterbesuchen, zum Beispiel bei der Vermittlung im Jobcenter: „Ich kann erklärend eingreifen.“ Jemanden wie Otto Kapun im Verein zu wissen, ist enorm hilfreich. Aber um genauer zu sein, ist es ein Netzwerk, was mittlerweile den Verein und seine jungen Männer unterstützt. „Wir arbeiten sehr intensiv mit dem Bildungszentrum Handwerk zusammen, um zum Beispiel Ausbildungsplätze zu bekommen. Besonders Claudia Eisenmann hilft uns dort sehr.“ Weitere Unterstützung erhalten sie durch die Wohnungsbaugesellschaft Gebag bei der Wohnungssuche, es gibt Ansprechpartner beim Sozialamt und Ärzte wie Dr. Andreas Schur, der die jungen Männer medizinisch betreut.
Noch immer kommen Interessierte vorbei und fragen, ob sie mitmachen können. Die Neuen werden nach ihrem Können befragt und eingeschätzt. Je nachdem werden sie in die 1. oder 2. Mannschaft aufgenommen. Zurzeit werden 20 Männer und Kinder betreut. Momentan leben die meisten der Vereinsmitglieder noch in Sammelunterkünften. Doch einige haben mittlerweile eine eigene Wohnung oder leben bei ihrer Freundin. „Das ist schon eine bessere Konstitution“, so Kapun. Inzwischen haben sich auch die deutschen Sprachkenntnisse verbessert, „zuvor konnten wir uns nur auf Englisch oder Französisch verständigen – keiner spricht bei uns Französisch.“ Beide Seiten brauchten Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen. So fand es Otto Kapun anfangs seltsam, wenn die Teammitglieder im Vereinsbus sehr laut miteinander reden, als wäre man meterweit entfernt: „Dabei sitzen wir alle direkt nebeneinander“, schmunzelt er.
In diesem Verein wird nicht von Integration gesprochen, sondern hier wird sie gelebt.
Der Verein ist erster Ansprechpartner bei allen Problemen, „aber es ist wichtig, dass die Leute grundsätzlich zukunftsfähig gemacht werden, dass sie im Alltag ankommen, um schlussendlich allein zurechtkommen zu können. Das ernüchtert natürlich auch und ist nicht einfach“, so Trainer Ralf Plincner. Trotz aller Widrigkeiten ist es ihm wichtig, dass bestimmte Regeln eingehalten werden, dazu zählen Respekt, Toleranz und Pünktlichkeit.
Die Leute kommen aus Nigeria, Iran, Guinea, Niger, Ghana, Eritrea, Bosnien, Irak, Marokko, Afghanistan, Deutschland und vielen weiteren Ländern. „Man muss bedenken, dass die sich auch nicht alle grün sind. Es gibt Vorurteile – aber wir sind eine! Gemeinschaft, weswegen Politik und Religion bei uns außen vor bleiben. Man kann diskutieren und streiten, aber man muss sich nicht totschlagen. Bei uns gibt es eine andere Basis“, bringt es Plincner auf den Punkt.
Vereinsmitglied Jürgen Kuttig, der das Interview aufmerksam verfolgt, liegt es auf dem Herzen die Arbeit des Vereins, wie folgt zu würdigen: „In diesem Verein wird nicht von Integration gesprochen, sondern hier wird sie gelebt. Genau deswegen bin ich hier Vereinsmitglied geworden. Ich bin halt sozial eingestellt. Hier geht es uns gut und auf diese Weise können wir wieder etwas zurückgeben. Man sieht, dass Integration funktioniert.“
Plincner räumt ein, dass auch er Vorbehalte hatte, als Bundeskanzlerin Merkel ihre berühmten drei Worte sagte. „Aber was wäre gewesen, wenn keine Flüchtlinge gekommen wären? Der Verein war am Boden.“ Die Anstrengungen und das riesige Engagement der mehrheitlich Ehrenamtlichen zeichnet sich aus: Im Rahmen ihrer Arbeit hat der Verein schon manchen Preis erhalten, darunter den Heimatpreis der Stadt Duisburg oder den Preis der DFB-Egidius-Braun-Stiftung.
Fußball ist die eine Seite des Vereins, die andere ist die starke soziale Arbeit, die sich aber auszahlt: „Ich freue mich, wenn jemand einen Ausbildungsplatz bekommt. Ich bin darauf stolz, wie die Fremden aufgenommen wurden. Und ich habe Spaß daran zu sehen, wie sich die Vereinskameraden freuen, wenn sie Fußballspielen und wenn sie sich wiedersehen.“
Ralf Plincner ist eingeborener Wehofer. Wer könnte die Frage besser beantworten, was den Stadtteil ausmacht? „Wehofen ist im Grunde ein Dorf und die Eingemeindung in den 1970ern eine mittlere Katastrophe“, erzählt er rückblickend. Die Eigenarten eines Dorfes blieben bestehen, Neuhinzugezogene blieben eher außen vor. „Wehofen ist ein Nest, umso wichtiger ist es, dass die Neuen miteinbezogen und mitgenommen werden.“ Plincner hofft, dass die Sanierung des Vereinsgeländes, „ein Rasenplatz ist wichtig“, genügend Motivation ist, dass Eltern ihre Kinder wieder zum Fußball spielen schicken. „Ein Rasenplatz verhindert, dass die Spieler schnell schmutzig werden oder sich verletzen.“ Es soll alles moderner werden. Deswegen wird im Vereinsheim fleißig gewerkelt, hier ist auch die Kneipe untergebracht. „Wir wollen wieder eine Kneipenkultur, einen Ort haben, an dem sich die Wehofer treffen und austauschen können.“
Die Mentalität der Einwohner beschreibt Plincner als hilfsbereit, zugänglich, streitbar, sehr herzlich, „kurz gesagt, wir stehen zu unserem Wort.“
Plincner lebt gerne hier. Er schätzt das Flair, das immer noch den Charme einer Bergbausiedlung verströmt. In Wehofen wuchs auch schon sein Uropa auf, hier hat er seine Kindheit und Jugend verbracht: „Wir haben immer zusammen draußen gespielt – egal ob evangelisch oder katholisch. Alle haben aufgepasst und ein Auge auf uns geworfen. Es darf einfach nicht passieren, dass man seinen Nachbarn nicht mehr kennt. Man muss sich immer auch für seine Mitmenschen interessieren.“ Und zu guter Letzt schließt Plincner mit diesen Worten: „Biste in Wehofen, bleibste in Wehofen.“
Auf die nächsten 100 Jahre!
Ralf Plincner empfiehlt
- Ein Spiel von Viktoria Wehofen 1920 e.V. anzusehen
- Einen Umzug des Kinderkarnevalsvereins KKG Wehofen 2020 zu bewunder
- Einen Spaziergang durch die Siedlung zu machen