Internationale Kinder- und Jugendbühne Bahtalo
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Besonders in den Vordergrund möchte Annegret Keller-Steegmann eigentlich nicht. Sind es doch viele andere, und da besonders die Kinder und Jugendlichen, die das Projekt Bahtalo bestreiten, ihm Leben einhauchen und zu einem Aushängeschild Rheinhausens machen. Aber Annegret Keller-Steegmann ist eben auch die Person, die mit Kraft und Ausdauer die Fäden in der Hand hält, den Überblick bewahrt und für ganz viele Menschen Vorbild und Bezugsperson ist.
Bahtalo ist Romani und bedeutet Freude und Hoffnung. Zwei Wörter, die 2013 eine ganz besondere Bedeutung erlangten. Denn die Internationale Kinder- und Jugendbühne entstand in den Auseinandersetzungen um das Roma-Quartier „In den Peschen“. Kinder und Kultur sind Brücken zwischen den Menschen. In diesem Sinne engagierten sich unterschiedliche Initiativen und BürgerInnen, darunter auch das Junge Ensemble Ruhr. Es war der Motor für Bahtalo. Auch wenn es Sprachhindernisse gab, Gesang und Ausdruck sind barrierefrei und bilden eine gute Basis für die Zusammenarbeit. Anfangs waren mehrheitlich Roma dabei, später folgten DuisburgerInnen und geflüchtete Kinder aus allen Krisenregionen der Welt. Mittlerweile zählt Bahtalo mehr als 60 junge AkteurInnen. Dabei teilt sich das Ensemble in eine Kinder- (6-12 Jahre) und in eine Jugendgruppe (13 bis 18 Jahre) auf. Musik, Tanz, Theater und Kunst bilden die Schwerpunkte.
Nach einer langen Suche nach einem festen Ort, wurde Bahtalo in der 2016 gegründeten Sekundarschule Rheinhausen heimisch. Hier stehen nicht nur Musik- und Kunsträume, Aula und Sporthalle zur Verfügung: „Es war gut diesen Ort gefunden zu haben. Hier gehen ganz verschiedene Kids zu Schule, kommen viele Nationalitäten und kulturelle Hintergründe zusammen. Durch die Zusammenarbeit mit Bahtalo konnten eben auch viele Vorurteile geknackt werden“ so Keller-Steegmann. Seit Sommer 2020 ist die Schule übrigens die Gesamtschule Körnerplatz, was alle mit Stolz erfüllt, haben sie doch lange dafür gekämpft.
Lana, Josue und Selina gehören dem Ensemble an, was hat sie zu Bahtalo geführt?
Lana ist 13 Jahre alt und stammt aus Aleppo in Syrien: „Ich bin 2016 mit einer Freundin hierhergekommen und habe mir das Ganze mal angeschaut. Nachdem meine Mutter überzeugt werden konnte, bin ich dabei. Ich habe viele Talente entdeckt. Ich singe, spiele Saxophon und schauspiele.“
Josue, 16 Jahre, kommt ursprünglich aus dem Kongo: „Über meinen jüngeren Bruder kannte ich schon Bahtalo, ich habe mich aber erst später dafür interessiert. Der Schulsozialarbeiter hat mich motiviert. Die Freundlichkeit und die liebevolle Atmosphäre haben mich überzeugt. Ich habe dann Theater gespielt und gleich beim ersten Mal die Hauptrolle ergattert“, sagt er nicht ohne Stolz. „Außerdem habe ich hier Gitarre, Schlagzeug und Deutsch gelernt“, mittlerweile träumt er sogar in dieser Sprache. Jetzt hat er gerade seinen Schulabschluss mit Oberstufen Qualifikation gemacht. Für seinen weiteren Lebensweg hofft er, dass er ein Musikstudium aufnehmen kann. Wichtig ist, dass er dafür die Möglichkeit der Studienvorbereitung bekommt, was gar nicht so einfach ist, wenn die wirtschaftlichen Chancen knapp sind und öffentliche Förderung eher niedrigschwellig ansetzt.
Die vierzehnjährige Selina kommt aus Rheinhausen und geht auf die Schule am Körnerplatz: „Wir bekommen jedes Jahr nach den Sommerferien eine Einladung von Bahtalo. Ich habe mal in der 6. Klasse vorbeigeschaut, da war das aber noch nichts für mich. Erst jetzt habe ich Interesse. Toll ist, dass ich so neue Freunde und Kontakte gefunden habe. Was ich neu an mir entdeckt habe: Geduld! Ich hätte bisher nicht vermutet, dass ich auch geduldig sein kann.“
Emre Yesilyurt ist Schulsozialarbeiter und hat selbst im Jungen Ensemble Ruhr angefangen. „Hier wurde ich gefördert, aber auch gefordert, gerade auch um die Qualität der Darbietung zu gewährleisten. Man fühlt sich hier aufgehoben und total anerkannt.“ Yesilyurt ist es wichtig die Schulsozialarbeit weiter voranzubringen und so den Kids das zu bieten, was ihm ermöglicht wurde: „Anerkennung durch die türkische Community hatte ich, aber nicht die von der weißen Mehrheit. Die Arbeit im Ensemble hat mich verändert. Das möchte ich weitergeben und zeigen, dass jeder mitmachen kann.“ Keller-Steegmann ergänzt: „Emre komponiert mittlerweile selbst und schreibt Texte, wie jetzt eine Ballade.“ Und Selina wirft ein: „Es ist sehr romantisch.“
Song: Sevdamiz - Unsere Liebe
Worauf sind die Drei besonders stolz?
Lana überlegt nicht lange: „Als ich meine erste Bühnenrolle gespielt habe. Ich hatte erst Angst, weil ich noch nicht so gut Deutsch konnte. Außerdem bin ich sehr schüchtern und hätte mir das eigentlich nicht zugetraut. Dann habe ich aber die 13. Fee gespielt und musste einen Fluch aussprechen. Das war alles sehr aufregend, besonders, als sich dann noch mein Kostüm verheddert hat“, erzählt sie lebhaft. „Ich habe herausgefunden, dass ich meine Schüchternheit überwinden kann.“
„Ich bin sehr stolz darauf, meinen Schulabschluss geschafft zu haben“, sagt Josue. „Alle waren vor der Prüfung da und haben mir die Daumen gedrückt und Mut gemacht. Zuhause und auch bei Bahtalo habe ich Zuspruch erhalten und dass ich, falls ich es nicht schaffen sollte, auch noch eine Chance habe. Ich habe aber bestanden und sogar von allen ein Geschenk erhalten.“
„Ich hatte erst neulich einen sehr glücklichen Moment, der mich sehr stolz gemacht hat“, berichtet Selina nach einer kurzen Überlegung. „Ich habe für unser nächstes Theaterstück den Sturm gespielt. Alle haben zugeguckt, aber es hat alles geklappt.“
Und was bedeutet Rheinhausen persönlich?
„Vor vielen Jahren bin ich aus Köln nach Rheinhausen gezogen. Während des Arbeitskampfes um die Kruppwerke habe ich mich in einen Betriebsrat verliebt. Rheinhausen ist nicht mit Köln zu vergleichen. Aber die Menschen hier, das füreinander Einstehen und gemeinsam Probleme lösen, bedeutet mir viel. Gerade diese Menschen machen diesen Ort für mich zur Heimat. Außerdem schätze ich die Seen, den Rhein, gerade auch mit der Industriekulisse, und die kurze Verbindung zum Niederrhein, um dort Touren zu unternehmen“, fasst Annegret Keller-Steegmann zusammen.
„Es ist nicht so laut hier“, sagt Lana, „hier gibt es weniger Autolärm, viel Grün und Natur. Das gibt es alles nicht in Aleppo. Und auch keine wilden Tiere, wie Kaninchen.“ Besonders eigentümlich fand Lana anfangs Leute, die mit Hunden an der Leine spazieren gehen.
Josue interessiert sich sehr für Geschichte: „Hier habe ich viel über den ersten und zweiten Weltkrieg erfahren und über Judenverfolgung. Ich bin mit dem Fahrrad hier in Rheinhausen bestimmte Stationen abgefahren, die geschichtlich interessant sind. Für mich ist Rheinhausen ein kleiner Ort mit viel Geschichte.“
Selina fasst sich kurz: „Ich mag die Seen und Parks, das Grün und die Tiere. Ich schätze eh eher Tiere als Menschen.“
Für Emre Yesilyurt ist Rheinhausen in erster Linie ein Arbeitsort, aber: „Duisburg erdet, es ist nicht so schickimicki wie Mülheim, wo ich wohne.“
Auf die Herausforderungen des Bezirks angesprochen, erklärt Keller-Steegmann: „Der Leerstand ist ein großes Problem. Wir versuchen mit Jugendlichen darüber zu sprechen, wie Online-Handel und leere Ladenlokale zusammenhängen und dass sie selbst Verantwortung für die Entwicklung des Stadtteils tragen. Dass das Freibad Toeppersee geschlossen wurde, ist immer noch sehr schade und schlimm wäre, wenn die Musikschule den Stadtteil verlässt. Ich habe immer den Eindruck, dass die Bedeutung solcher Einrichtungen nicht wirklich wahrgenommen wird. Und schlussendlich sollte Ehrenamt auf offene Türen stoßen.“