Soziokultureller Hintergrund der Roma als Faktor im Integrationsprozess

Vortrag des Kulturwissenschaftlers Prof. Dr. Ljatif Demir

Am vergangenen Donnerstag  lud die VHS gemeinsam mit dem KI zu einem Vortrag des Kulturwissenschaftlers Prof. Dr. Ljatif Demir mit dem Titel „Soziokultureller Hintergrund der Roma als Faktor im Integrationsprozess“ ein. Dazu kamen im Café der Stadtbibliothek/ VHS um die 35 Menschen zusammen, um Prof. Demir zuzuhören und anschließend gemeinsam zu diskutieren. 

Das Besondere an der Veranstaltung, Prof. Demir‘s Vortrag war auf Kroatisch. Lediglich die mitgebrachten Folien waren auf Deutsch. Dank Herrn Sosic (VHS) und Herrn Terzic (KI), die auch als Übersetzer den Abend begleiteten, war eine reibungslose Kommunikation möglich.  

Die Veranstaltung ist Teil der Veranstaltungsreihe „Roma sprechen über Roma“, die vor etwa fünf Jahren ins Leben gerufen worden ist. Besonders durch den EU-Beitritt 2007 wuchs die Roma-Community in Deutschland merklich und durch die vermehrte Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien und das Thema geriet sehr stark in die Diskussion der Öffentlichkeit. Mit der Veranstaltungsreihe sollen der Unwissenheit und der Unkenntnis der Menschen über dieses komplexe und historisch vorbelastete Thema entgegenwirkt werden. Außerdem soll so nicht nur über die Roma-Community gesprochen werden, sondern Menschen aus der Community zu Wort kommen und in den Diskurs und den Austausch mit einbezogen werden, so Marijo Terzic.

Wenn wir über soziale und kulturelle Integration der Roma im 21. Jahrhundert sprechen, müsse gleich zu Beginn festgehalten werden, dass es sich dabei um einen sehr komplexen Prozess handele, so Demir. Verwende man den Begriff Roma, so sei es als würde man tausende Menschen in einem Begriff vereinen und das sei garnicht so einfach. Denn es gibt nicht die eine Roma-Community, sondern über 200 Gruppen. So arbeite man, wenn man mit Roma zusammenarbeitet, nicht - wie oftmals angenommen wird – mit einer Kultur zusammen, sondern mit ganz vielen Kulturen. Dies sei unteranderem auf den historischen Hintergrund der Roma zurückzuführen.

Beim Integrationsprozess der Roma gäbe es, so Demir, besonders einen soziokulturellen Faktor, der eine wichtige Rolle spiele: Die Verallgemeinerung der Roma Kultur durch die Mehrheitsbevölkerung. Roma-Kultur sei verbal, also von Mund zu Mund weitergetragen und nicht, wie in vielen anderen Kulturen, schriftlich festgehalten. Dies habe sich stark auf die Variabilität und Wahrnehmung ihrer Elemente ausgewirkt. Prof. Demir sagt, „Roma haben es versäumt, ihre eigene Geschichte zu schreiben.“ Das Fehlen der originalen Roma-Texte, verweise Forscher auf Fremdquellen, wodurch viele Fehler und falsche Behauptungen entstanden sein und entstehen. Roma werden oft als kleine, primitiv strukturierte, geschlossene Gemeinschaft dargestellt. Zudem werde immer wieder auf eine stereotype Darstellung des Aussehens oder beispielsweise des Geldverdienens („Alle Roma stehlen.“) zurückgegriffen.

Die darauffolgende Reaktionen der Roma sein, nach Demir, Ethnomimikry, was das Verschleiern, Verheimlichen ihrer Herkunft meint, und die Vermeidung des Kontaktes mit Institutionen als „Symbol der Unterdrückung“ durch Autoritäten, die sie nicht mögen, bis hin zu spürbarer (Selbst-)Isolation oder Assimilation. Demir gehe davon aus, dass über 20 Millionen Roma in Europa leben, aufgrund von Assimilation jedoch nur 12-15 Millionen erfasst werden. 

Als Folge entstehe ein besonderes Problem bei der Integration. Die mangelnden Kenntnisse der genauen Anzahl und Struktur der Roma-Bevölkerung, haben direkte Auswirkungen auf die Planung und Entwicklung bildungspolitischer Pläne bzw. Planungen, mit denen die soziale Integration der Roma durchgeführt werden solle. 

Als Lösungsansatz schlägt Prof. Demir vor, flexiblere interkulturelle Modelle auf das kulturelle Muster der Roma anzuwenden, wie etwa das von Hofsted und Hall, die die starre Trennung in westliche und nicht-westliche Zivilisationen strikt ablehnen. 
Zudem fordert Demir, spezifische Ausbildung von Lehrenden für die Arbeit mit Roma Kindern, Schaffung von geeigneten didaktischen Materialien, Einführung spezifischer Inhalte im Zusammenhang mit der Roma Kultur, Unterstützung bei der Bildung begabter Roma Kinder, Zusammenarbeit mit der Roma-Familie, um die Erwartungen zu erhöhen und Bildungsleistungen zu bewegen, was eine kontinuierliche Bildung und Qualität ermöglicht. 

Auch wenn dieser Faktor nicht er einzige soziokulturelle Determinant sei, der bei der Integration von Roma eine Rolle spiele, so sei er doch ausschlaggebend für den Integrationsprozess.

Im Anschluss seines Vortrages stellte sich Prof. Demir sich den zahlreichen Fragen des Publikums.